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Der Experte im Interview zum Thema Unfallversicherung: Panos Kalantzis

Inzwischen sollte ja weit über Nürnbergs Grenzen hinweg bekannt sein: Wir regen uns gerne über Halbwahrheiten und falsche Behauptungen auf (Zurecht, finden wir!). Wir sind uns aber auch nicht zu schade, Dinge richtig zu stellen und zu erklären.

Ein „Fachmagazin“ betitelte unlängst die Unfallversicherung als sinnlos und überflüssig. Daraufhin haben wir uns mit der Frage beschäftigt: Stimmt das wirklich – oder hat die Unfallversicherung doch ihre Daseinsberechtigung?

Wir haben uns gefragt:

  • Macht eine private Unfallversicherung Sinn?
  • Was ist der Charakter der Unfallversicherung? Wann leistet sie?
  • Worauf sollte man bei der Unfallversicherung achten?

Um das zu klären, haben uns mit Herrn Panos Kalantzis unterhalten. Denn wer könnte es besser wissen als der Experte in Biometrie und Unfallversicherung der Bayerischen?

Soviel sei über das Experteninterview vorab verraten: Tatsächlich ist die Unfallversicherung ein äußerst wichtiger Baustein im Bereich der Einkommenssicherung.

rauch.zeichen: Mal angenommen, jemand in Ihrem Umfeld behauptet, dass eine Unfallversicherung total sinnlos ist. Diese zahle, im Gegensatz zur Berufsunfähigkeitsversicherung, nämlich nur bei einem Unfall. Was entgegnen Sie als Experte im Bereich Unfallversicherung dieser Person?

Panos Kalantzis: Ich bin kein Freund von Pauschalaussagen. Sie können den individuellen Bedarf selten in den Fokus stellen. Als „sinnlos“ (wohl eher „überflüssig“) bezeichne ich einen Versicherungsvertrag dann,

  • wenn dieser ein beim konkreten Kunden nicht existentes Risiko absichert. Wer weder privat, noch beruflich ins Ausland fährt, braucht auch keine Auslandsreise-Krankenversicherung.
  • wenn durch den Eintritt des Versicherungsfalles die finanzielle Existenz des Kunden (und/oder dessen Familie) nicht bedroht wird.

Ich habe neulich gelesen, dass die Unfallversicherung für Arbeitnehmer, Kinder und Jugendliche weniger sinnvoll sei. Diese Zielgruppen wären für Arbeits- und Wegeunfälle (Arbeitnehmer auch bei Berufskrankheiten) bereits abgesichert.

Doch solche Aussagen stufe ich als gefährlich ein. Sie ignorieren einfach eine wichtige Tatsache: ca. 72% aller Unfälle treten in den Lebensbereichen auf, in denen der Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung nicht existent ist – nämlich im Hausbereich und in der Freizeit (Quelle: www.baua.de).

Der Experte meint: Unfallversicherung und Berufsunfähigkeitsversicherung sind beide wichtig – haben aber verschiedene Leistungsauslöser!

rauch.zeichen: Wir haben gelesen, dass eine Berufsunfähigkeitsversicherung wichtiger und besser sei als eine Unfallversicherung. Daher sollte mann besser auf die Unfallversicherung verzichten. Was meinen Sie?

Panos Kalantzis: Es ist definitiv richtig, dass die Berufsunfähigkeitsversicherung einen sehr umfangreichen Versicherungsschutz anbietet. Sie sichert schließlich die Lebensstellung bei Krankheit, Unfall oder Kräfteverfall ab und das in Form einer laufenden Rente.

Die Unfallversicherung dagegen kennt nur einen Leistungsauslöser. Den Unfall. Dafür kann sie aber mein Auffangpolster sein, wenn ich nach einem Unfall einen erhöhten Kapitalbedarf habe. Das kann mir beispielsweise dabei helfen mein Haus umzubauen, ein behindertengerechtes Fahrzeug anzuschaffen usw.

Außerdem leistet sie unabhängig davon, ob ein Unfall zur Berufsunfähigkeit führt oder nicht.

Man sollte in der Beratung stets den individuellen Bedarf des Kunden in den Vordergrund stellen. Welchen Versicherungsschutz braucht dieser konkrete Kunde? Wie hoch darf der Gesamtaufwand für diesen Schutz maximal sein?

In vielen Fällen lässt sich dieser Bedarf anhand einer Kombination von unterschiedlichen Produkten mit einer abgestimmten Ausgestaltung effektiv abdecken.

Nur weil eine Versicherungssparte mehr abdeckt, ist die Unfallversicherung nicht sinnlos!

rauch.zeichen: Wir denken, dass die Aussage, eine Versicherung sei sinnlos, weil eine andere Versicherung mehr – und vor allem aus anderen Gründen – leistet, sehr gefährlich ist. Schließlich gibt es mannigfaltige Gründe für den Abschluss einer Unfallversicherung. Einige davon haben Sie ja bereits genannt.

Sicher könnte man diese Gründe auch für alle anderen Versicherungen wie das Krankentagegeld oder die Grundfähigkeitsversicherung anführen. Wenn wir Sie als Experte für die Unfallversicherung schon einmal hier haben: worin unterscheiden sich eigentlich eine Grundfähigkeitsversicherung und eine Unfallversicherung?

Panos Kalantzis: Das erste Unterscheidungsmerkmal sind die unterschiedlichen Leistungsauslöser. Wie gesagt: es gibt bei der Unfallversicherung nur einen Leistungsauslöser. In den letzten Jahren haben viele Anbieter den Katalog der Leistungsauslöser um einige Punkte erweitert, wie z.B. Infektionskrankheiten, Herzinfarkt oder Schlaganfall (letztere sofern sie zu einem Unfall führen, nicht als eigenständige Diagnosen).

Die Grundfähigkeitenversicherung kennt primär dieselben drei Leistungsauslöser wie die Berufsunfähigkeitsversicherung: Krankheit, Unfall und Kräfteverfall. Anders als bei der BU ist jedoch der Verlust einer Grundfähigkeit grundsätzlich nicht versichert, wenn die zugrundeliegende Erkrankung eine rein psychogene Ursache hat. Mittlerweile kann man bei einigen Anbietern den Versicherungsschutz um konkret definierte Diagnosen aus dem Bereich der Psyche erweitern.

Ein zweites Unterscheidungsmerkmal sind die möglichen Leistungsarten: während die Grundfähigkeitenversicherung in Form einer monatlichen Rente leistet, kann man bei der Unfallversicherung wählen, ob man bei Invalidität eine Kapitalleistung und/oder eine Rente erhalten soll (sofern der Anbieter den Abschluss einer Unfallrente „solo“ versichern kann).

Bei der herkömmlichen Unfallversicherung führt ein Unfall nur dann zu einer Invaliditätsleistung, wenn die Folgen (nämlich die Invalidität) innerhalb eines konkret definierten Zeitraums (ab Unfalltag gerechnet) auftreten und geltend gemacht werden. Dieser Zeitraum ist in den aktuellen Musterbedingungen des GDV mit 15 Monaten definiert.

Das ist bei der Grundfähigkeitenversicherung anders: der Verlust einer versicherten Grundfähigkeit wird entschädigt unabhängig des zeitlichen Abstands zu der zugrundeliegenden Ursache.

Wie immer kommt es auf das Kleingedruckte an!

rauch.zeichen: Wenn man sich für den Abschluss einer Unfallversicherung entscheidet, worauf sollte man achten? Was ist in den Bedingungen wichtig?

Panos Kalantzis: Diese Frage lässt sich am einfachsten beantworten, wenn man das Thema Unfallversicherung aus den Augen eines Verbrauchers betrachtet und die Musterbedingungen des GDV (AUB 2014) als Leistungsmaßstab zugrunde legt.

Dann stellen wir fest, dass der Versicherungsschutz einige Lücken bzw. Einschränkungen aufweist. Wenn ich hier eine Faustregel aufstellen müsste, würde diese lauten: alles, was die Leistungswahrscheinlichkeit nach einem Unfall erhöht ist wichtig. Zum Beispiel (der Reihe nach, wie die Punkte in den AUB 2014 auftauchen).

Das sagt der Experte: folgende Punkte sind in guten Unfallversicherung enthalten!

Eigenbewegungen

Ein Verbraucher knickt beim Treppensteigen ohne jegliche äußere Einwirkung (wie z.B. unebene Treppenstufen) um und verletzt sich dabei schwer.

Sicher spricht er von einem Unfall und erwartet, dass seine Unfallversicherung eine dadurch aufgetretene Invalidität entschädigt. Das würde aber nach den AUB 2014 keine Pflicht zur Invaliditätsleistung auslösen. Der Unfallbegriff wird weder im engeren (also, die altbekannte „PAUKE“) noch im erweiterten Sinne („erhöhte Kraftanstrengung“) erfüllt, wenn die Eigenbewegung vollständig und in ihrem gesamten Verlauf willensgesteuert ist.

Leistungsstärkere Tarife versichern auch Eigenbewegung als Unfallursache mit.

Frist für Eintritt und Meldung der Invalidität

Die genannte Frist liegt, wie bereits erwähnt, bei 15 Monaten. Mit dieser Regelung sollen Spätschäden ausgegrenzt werden. Somit gilt: je länger die Frist, umso höher die Leistungswahrscheinlichkeit.

Leistungsstärkere Tarife sehen mittlerweile eine Frist von 36 Monaten vor.

Mitwirkung von Krankheiten und Gebrechen

Nicht selten verschlimmert eine bestehende Erkrankung oder Vorschädigung die Folgen eines Unfalls derart, dass Invalidität eintritt.

Solche Erkrankungen oder Vorschädigungen können sich auch teilweise erst bei einem Unfall bemerkbar machen, insbesondere wenn es um degenerative Erkrankungen des Bewegungsapparats handelt.

Die Unfallversicherung soll aber dem Grunde nach nur unfallbedingte Invalidität entschädigen. Also müsste man die Teilursachen (welcher Teil der Gesundheitsschädigung ist unfall- und welcher krankheitsbedingt) voneinander abgrenzen und nur den unfallbedingten Teil entschädigen. Eine Versicherung nach den AUB 2014 sieht eine Leistungskürzung vor, wenn der krankheitsbedingte Teil mehr als 25% beträgt. Somit gilt: je höher der Mitwirkungsanteil, umso geringer kann eine Kürzung ausfallen.

Leistungsstarke Tarife verzichten auf eine Kürzung, wenn bestehende Krankheiten oder Gebrechen lediglich mitgewirkt, aber die Invalidität nicht ausschließlich verursacht haben.

Bewusstseinsstörungen

Ein letztes Beispiel: sie sind als Ursachen eines Unfalls in den AUB 2014 grundsätzlich ausgeschlossen. Mit Bewusstseinsstörungen sind alle Störungen der Sinnestätigkeiten gemeint, die eine Beeinträchtigung der Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit verursachen können.

Oft denkt man bei dieser Beschreibung nur an Alkohol- und Drogenkonsum. Was ist aber, wenn ein Herzinfarkt, eine Herz-Kreislaufstörung oder schlichte Übermüdung den Unfall verursacht haben?

Ohne die entsprechende Erweiterung des Versicherungsschutzes würde in einem solchen Fall der Versicherer leistungsfrei sein.

Leistungsstarke Tarife erweitern die Deckung für eine Vielzahl von bewusstseinsstörenden Ereignissen.

rauch.zeichen: Herr Kalantzis, wir bedanken uns an dieser Stelle herzlichst für Ihre wertvolle Zeit und die ausführlichen Antworten zu diesem unglaublich spannenden Thema. Im nächsten Beitrag geht es weiter mit unserem Experteninterview zur Unfallversicherung!

Im zweiten Teil des Experteninterviews zur Unfallversicherung werden wir uns folgenden Fragen widmen:
  • Was sind Gliedertaxe und Progression?
  • Welche Versicherungssumme macht Sinn?
  • Auf welche Zusatzleistungen in der Unfallversicherung sollte man achten?
  • Welche ungewöhnliche Lösung bietet die Bayerische?

In der Zwischenzeit empfehlen wir Ihnen unsere Seite zum Thema Einkommenssicherung.

Bildquellen: die Bayerische